C A N T I O
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Text: Sharon L. Joyce
Deutsche Übersetzung (2012): Erika Ria Otto |
I
Angebetete, atmend, ahnend, allgegenwärtig,
alles gebend, alles nehmend, kalt, Könige des Kosmos,
Täuscher, Töter von Riesen,
Opferverschlinger, Grambezwinger,
schonlungslos sichtbar, selige Schöpfer.
Mutig, mächtig, mitleidslos,
Wanderer, Wundertäter, Wandler,
Waldberinder, Wirbelwinder, Willenskinder, Weltbewohner,
Bogenschützen,
sorglos segnende Schmerzensstiller, Wesensstifter, Flammenväter,
vergessend, freudig verkennend, mystisch.
Vergangenes bannend, verehrte Verächter,
Leiber des Lichts, sagenhaft schrecklich, sonnenwarm,
weise waltend, fortgegangen, geschwind,
schnell flink – Verführer des Äthers, rasend tapfer,
lachende Lehrer, laufend lockende Lebensgeister,
Hüter des Horizonts, fordernd voll Ahnung, goldenhäutig,
Gebieter der Dünung,
unten am Ufer,
sie setzen die Segel,
verlassen das
Land.
Vielnamige Götter ...
Selige ...
Gotterbaut ... gottbeschützt ...
ein Schiff, in die Ferne zu streben.
Alles fließt: Regen, Ströme, Sände, Steine, Mauern, Wände, Menschen und die Götter?
Aufs Meer ...
Fahrende, Fliehende ...
II
Über diesen Ort
hat man so einiges erzählt.
Ein Land, voll, reinster Überfluss;
die Menschen glücklich
und die Götter verehrt.
Hier in den Bergen hört man das Atmen des Windes,
den Klang nicht endender Gebete
und aus allem fließt das kühlende Opfer des Weins.
Um uns her strahlt das Meer, ein Glanz so tief, dass er blendet.
Allein unsere Stadtmauern, von den Göttern erbaut, halten Stand.
Manche Männer bauen Boote, um die Ödnis des Meers zu durchqueren;
dann kämpfen sie mit dem Ozean, um heimkehren zu dürfen
in ihre Stadt, zu ihren Göttern.
Wenn die Wolken verschwinden, ist das Jahr unerbittlich;
der Himmel durstet in der trockenen Luft –
die Sonne starrt auf ein wüstes Land.
Die Zikade singt in braunen Gräsern.
Die Menschen sind glücklich.
Glücklich, im Schatten zu liegen,
glücklich, Honig und Feigen zu essen
glücklich, zu schlafen und zu träumen
glücklich, den Wind vom Meer zu spüren und die Zikaden zu hören.
Wenn sie schön singen ... für die Schlafenden ... für die Götter.
Die Träumenden.
Schäfer träumen wohl von Schafen und Weiden
Fischer von Fischen und vom Schwimmen im Meer
die Trinker vom Wein
und die, die Honig essen, vom gestohlenen Gold.
Jene, die erwacht sind,
werden versuchen, ihre Träume zu fangen
und sie werden sich vielleicht erinnern ...
Golden glänzend, von tausenderlei Gestalt, mutig,
mächtig, mitleidslos. Geschwind, schnell, flink ...
Bereits morgen werden die, die erwacht sind,
versuchen, sich zu erinnern ... an die Götter ...
Vielleicht ... erinnern sie sich ...
... Sie werden sagen, die lebensspendenden Götter seien ein Traum gewesen ...
Flüchtige Träume,
verloren im Wind.
III
Hört ... bevor ihr fahrt ... Hört mir zu.
Ihr wollt die Segel setzen, doch
bevor ihr fahrt,
kann ich euch erzählen von den Ländern weit draußen.
Niemand spricht mit Sicherheit über diese Gebiete.
Ich kann nur Gerüchte verbreiten –
Gerüchte über Gerüchte –
denn die Menschen erzählen ... Denn die Menschen erzählen vieles.
Wo soll ich nur anfangen?
Sobald eine Geschichte beginnt,
weiß niemand mehr, wie sie enden wird.
Und mit Reisen ist es ... genauso.
Niemand weiß ... Niemand weiß, was geschehen wird,
wenn ihr diese steinige Küste verlasst.
Was auch immer ihr erwartet,
ihr werdet das Gegenteil von hier finden.
Ein flaches und breites Land,
ein flacher und breiter Fluss.
Die Sonne erwacht im Osten
und die Sonne erwacht im Westen (manchmal).
Die Sonne steigt über die Felder
die Sonne überflutet den Fluss
Der Fluss steigt über die Ebene
und die Felder liegen unter Wasser,
ein grausamer Ort, und es wird noch schlimmer.
Diese Wasser sind voll schrecklicher Ungeheuer.
Was für welche? Darüber kann ich nicht sprechen.
Flussreiche Felder, Felder von Flüssen
Wo Flusspferde laufen ...
Laufen warum?
Weil sie gejagt werden ...
Von hungrigen Jägern? Nein.
Von wem dann?
Das trau ich mich nicht zu sagen.
Haben sie Beine zum Rennen? Oder Schwänze fürs Schwimmen?
Beine und Schwänze.
Hmmm?
Zum Rennen... und Schwimmen... sehr schnell.
Essen Sie Fisch?
Nein, sie essen Menschen.
Sehr schrecklich?
Unaussprechlich.
Heulen sie laut?
Sie grunzen und grummeln.
Sitzen sie wie Hunde?
Sie liegen eher am Boden wie Steine.
Wie Drachen? Seedrachen?
Seedrachen?
Flussdrachen – –
Steinwürmer!
Die Felder sind unter Wasser
und unter dem Wasser: Krokodile.
Krokodile und Wasser bedecken das Land
Keine Götter sind mehr Himmel,
nur Krokodile.
Flussdrachen – Krokodile!
Die Felder sind unter Wasser, und unter dem Wasser: Krokodile
Krokodile und Wasser bedecken das Land.
* Kein Regen kommt vom Himmel ... aber die Ernte?
* Das Wasser kommt vom Fluss ... Nicht vom Himmel?
* Kein Regen kommt vom Himmel ... Keine Götter?
Im Himmel sind keine Götter mehr ... Wo dann?
* Die Götter müssen im Fluss sein, Aber der Fluss ist voll – – –
* Der Fluss ist voller Krokodile ... und das heißt? ...
* Die Krokodile sind die Götter der Flüsse! Monster!
Krokodile sind grausame Götter.
Man hört Geschichten über diese Krokodile
manche wahr, manche falsch Was essen sie?
Krokodile, die Schafe fressen Und Vögel!
Krokodile, die Vögel fressen Sie träumen vom Fliegen! Sind Vögel!
Krokodile, die Vögel sind und Flügel haben Essen keine Vögel ...
Krokodile, die keine Vögel fressen ... ... mögen sie sie nicht?
Krokodile, die keine Vögel fressen, sondern mit ihnen leben. ...warum?
Vögel fressen keine Krokodile, ... was dann?
sie fressen die Egel, igitt!
die in den Krokodilsmäulern leben. ... gigantische Mäuler
Krokodile haben riesige Mäuler, ... wie der Fluss
der Fluss hat ein riesiges Maul, ... voll mit?
ein riesiges Maul voller Egel-Algen, igitt.
ein riesiges Maul, das ins Meer kotzt. Voll von Krankheit, fauliger Fluss
Ein fauliger Fluss fließt ins Meer. Alles fließt
Dieser Fluss ist voll Krankheit ... ins Meer
Dieses Meer ist voll Übel
Dieses Meer ist voll Wasser, bitter und sinnlos
Nichts als Wasser –
Bis zum Schluss ist dieses Meer eine einzige Enttäuschung.
Die Erde ist voll, das Meer ist voll, voll von Übel!
IV
Der Weg in die Sonne des Ostens
ist voller Wunder, doch ist er auch
viel härter und länger.
In diesen fernen Ländern
sind Berge auf Berge getürmt
und Gerüchte über Gerüchte verzwirnt.
Lang ... der Weg ist lang und führt über viele Berge;
Lang ... der Weg ist lang und führt über viele Meere.
Umzingelt von Bergen liegt das Meer,
Berge zum Überqueren;
Berge, überzogen von Flüssen.
Flüsse nach Norden, Flüsse nach Süden,
Flüsse in beide Richtungen – sie münden
in ein Meer ...
Ein Meer, das sich im Kreis dreht.
... Das war noch nicht einmal das Vorwort.
In diesem Meer dreht man schnell um;
in diesem Meer dreht man sich schnell
im Kreis herum und herum, für immer.
Sie brauchen keine Gebete und keine Götter.
Und auch sie ...
... sie glauben nicht an Gebete und nicht
an die Götter.
Um dieses Meer leben alle möglichen Menschen
alle möglichen Menschen und Kreaturen.
Es gibt die, für die das Leben leicht ist:
Jedes Samenkorn verwandelt sich in ihre Ernte
Und sie brauchen keine Gebete und keine Götter.
Es gibt die, für die das Leben schwer ist:
Was sie säen, stirbt.
Und auch sie glauben nicht an Gebete und nicht an die Götter.
Doch andere Menschen wandern.
Wandern auf bergigen Pfaden.
Sie haben ein Auge für den Tag und eines für die Nacht.
Wenn sie wandern, bleibt ein Auge zu
und wenn sie schlafen, eines auf.
Sie wandern auf der Suche nach wilden Kreaturen,
wild und unberührt,
nur in der Nacht sind sie sichtbar, und nur für die, die suchen.
Die Einäugigen sagen, die Greifen haben Flecken
wie der goldene Leopard.
... Greifen sind wie Löwen ...
... Greifen sind wie Adler ...
Doch sind sie mehr wie Adler, mit goldenen Schecken.
Greifen sind grimmig
ihre Zähne aus Gold,
golden die Augen, golden die Zähne, Flügel aus Gold.
Die mit einem Auge wollen Augen aus Gold
Zähne aus Gold
mehr Zähne und Grimm,
Greifen und Gold.
Die Greifen fliehen
sie fliehen, bis niemand mehr sie sieht
sie fliehen, bis nichts mehr sichtbar ist
auf höhere Berge
wo der Himmel voll Federn ist
und alle Menschen blind.
V
Nichts lässt sich mit Sicherheit sagen über dieses Land,
nichts ist sicher am Ende der Welt.
Hier, so sagt man, ist alles schleierhaft.
Man kann kein Land mehr sehen,
keine Wälder,
keine Rabenschwärme,
nur Weiß, das vom Himmel fällt.
Denn der Himmel ist voll
fallender Federn.
Sie verdunkeln den Blick,
fliegen im Dunkel,
verwoben ins andre Geschick.
Unsichtbar sind die Dinge in diesen Bergen
und alle Menschen, die dort leben,
blind.
Diese Blinden sehen nichts,
doch sie stellen sich vor –
stellen sich vor, dass die Nacht schwarz ist
und die Sonne schwarz;
Die fallenden Federn sind schwarz
doch stell dir vor – die Raben ...
Die Raben
sind weiß.
All dies sind Gerüchte, erzählt von Einäugigen, erzählt von Blinden.
Und die Blinden, sie irren sich häufig, die Blinden.
Die Blinden sagen
dass es alle möglichen Arten von Menschen gibt.
Und alle möglichen Arten, sein Leben herum zu bringen.
Diejenigen, die blind sind,
und diejenigen, die sehen.
Diejenigen, die säen und diejenigen, die mähen.
Diejenigen, die Greifen sehen und diejenigen, die greifen, nicht sehen.
Diejenigen, die träumen und die, die`s versäumen.
Die Blinden haben Gerüchte gehört, von denen, die da draußen leben.
Die Einäugigen sagen, dass die Blinden sagen:
Wenn man hier noch weiter geht, wartet nur die Verzweiflung.
Nur Verzweiflung und Dunkelheit für ein halbes Jahr
Nur Verzweiflung und zwei Arten von Menschen
Sie zu besprechen, sie zu besuchen, lohnt sich nicht
Es ist das Beste, umzukehren und nicht weiter zu gehen, umzudrehen
Oh ihr Menschenverwüster
Oh ihr Endsuchenden, Kümmerlosen
Die Ränder der Welt sind absehbar, bald zu nah
Kein Mensch kann weiter gehen
Das Land hört auf
Der Himmel hört auf und – nach und nach – kommt auch die Zeit zum Stillstand.
So nah am Rand ist das Leben härter als überall sonst.
Die Erde gefroren,
ist es Nacht für ein halbes Jahr.
Nur wenige überleben
und sie sind selten glücklich.
Stattdessen schießen sie Pfeile gen Himmel
Hier, sagen sie, gibt es zwei Arten von Menschen
Die Einen
sind Menschen, die Menschen essen.
Wenn sie schlafen, träumen sie von Nichts.
Hinter ihnen wartet die wahre Verzweiflung; der Kadaver der Welt.
Die Anderen,
die zweite Art von Menschen, sagen die Blinden,
schlafen für ein halbes Jahr tief und fest.
Die Schlafenden
essen nichts,
sie trinken nur die dichten Wolken – während eines ununterbrochenen Schlafs
trinken sie den Tau – während eines ununterbrochenen Schlafs,
von den Göttern geschenkt,
in der unendlichen Nacht eines halben Jahres.
Wenn die Schlafenden
erwachen, erzählen sie, was sie erinnern.
Ein halbes Jahr erzählen sie
denen, die hören können.
Sie erzählen über eine unvollendete Reise,
eine Reise wie ein unbeendetes Lied.
Ein Lied ...
von glücklichen Menschen
von klingenden Bergen
von singenden Zikaden
von gotterbauten Schiffen
von Flüssen voll Übel
von grausamen Krokodilen
von Göttern, die auf die Meere streben
von Meeren, die im Kreis sich drehen
von Menschen, die um die Meere leben
von Menschen, die die Berge durchstreifen
von Menschen, die die Greifen sehen
und denen, die gar nichts sehen
und denen, die gar nichts träumen
und denen, die endlos träumen
und denen, die endlos lauschen
Endlos versuchen sie alle, ihre Träume zu erinnern
um sie den scheidenden
Göttern zu erzählen,
die zögern, um noch ein Lied zu hören
Ein Lied, die ungeduldigen Götter zu fangen, geschwind, schnell flink, dem Meer versprochen, so lange sie noch im Hafen sind.
Ein Lied ...
von glücklichen Menschen
von klingenden Bergen
von singenden Zikaden
von gotterbauten Schiffen ...